Namib

He Stranger – 40 Tage allein in der Wüste

Der erste Teil meiner 12jährigen Reise. Die Wüste Namib.
40 Tage in völliger Einsamkeit. Nur mein Flügel, Kubus und ich. 40 Tage voller Musik. Voller Emotionen.
Daraus entstanden sind nicht nur Klavierfraktale, sondern auch Videos, die Dich auf meine Reise mitnehmen sollen. Following #theSoundinyou

Tag 1 – He Stranger in Namib

Ich lebe meinen Ruf. Alleine. 40 Tage. In völliger Isolation. Lasse die Kraft der Natur mich durchwirken.
Alles beginnt mit dem Hineinhorchen, Hineinspüren: Ich kann es noch nicht beschreiben. Einfach nur spielen, ein Stück Musik schaffen, die für alle 4 Jahre frei zugänglich war.

Tag 2 – In der Wüste

Die Motive für die Symphonie nehmen Formen an. Es ist, glaube ich, der Blick in den Sternenhimmel und die unendliche Weite der Wüste, was mich in andere Welten bringt. Wie in einem Traum…
„Lernt zu träumen, das Unbekannte zu suchen. Des Menschen Streben sollte mehr sein, als er leicht zu greifen vermag.“

Tag 3 – Die Natur, der Flügel und ich

Ich komme immer mehr zu mir selbst. Ich, die Natur und der Flügel.
Das nächste Camp ist in zehn Kilometer Luftlinie entfernt, ich habe keinen Funk und keine Verbindung… Im Notfall bräuchte ich über fünf Stunden durch die Wüste, um dorthin zu kommen. Ich müsste mindestens drei Liter Wasser mitnehmen – eher mehr, falls ich mich verirre – um nicht innerlich auszutrocknen…

Tag 4 – Spuren hinterlassen

Ich bin froh, nicht täglich zu spielen. Ich will mir Zeit nehmen, die Wüste zu spüren. Bei 40 Grad in der Sonne. Es ist noch vor zehn Uhr morgens.
Kann ich auch die Wüste gestalten?… Seit einer Stunde schleppe ich Stein um Stein. Die Steine werden eine große „Zeichnung“ bilden – quer durch die Wüste im Durchmesser mehr als hundert Metern! – fertig gestellt für das Finale am 40. Tag!

Tag 5 – Nächte in Namib

Tag und Nacht harre ich hier draußen aus. Die Nächte sind besonders aufregend. Ich hatte Angst um mein Leben. Hyänen. Ihr Heulen erinnert mich an das panische Schreien eines Kindes. Gruselig. Und sie kamen immer näher.

Tag 6 – Meine Kinder, mein größter Schatz

Die Symphonie nimmt erste Formen an… Aber ich habe immer wieder mit der Einsamkeit zu kämpfen.
Wenn mal ein schwieriger Moment kommt, denke ich sofort an meine Kinder zu Hause. Sie sind mein größter Schatz und mein Licht in jedem schweren Moment. Ich vermisse nichts aus der Heimat – nur sie.

Tag 7 – Pause

Heute habe ich nicht gespielt, sondern mal einen Tag „off“. Den Kopf wieder frei kriegen von den Melodien der letzten Tage, damit wieder Neues nachkommen kann…
Ich habe einfach nur endlos Steine geschleppt. Das ist meine Meditation. Gedanken nehme ich währenddessen nicht mehr wahr…

Tag 8 – Mein Flügel in der Wüste

Heute habe ich keinen guten Tag. Es ist so viel Staub im Kubus, dass ein zartes Pianissimo schon jetzt nicht mehr möglich ist, d.h. ich muss tendenziell immer etwas lauter spielen, als ich möchte. Das funktioniert nur bedingt, weil dadurch alles einfach zu laut wird.

Tag 9 – Tag in der Einsamkeit

Das Schreiben gibt mir eine Art von Kommunikation und Nähe, die mir doch bereits langsam fehlt.
Heute habe ich drei Stunden den Flügel frei gespielt und dabei ein ganz neues, sehr intensives Thema gefunden. Ich war nach einer Stunde vollkommen nass geschwitzt. Ich habe mich ausgezogen und komplett nackt gespielt.

Tag 10 – Eigentlich bin ich schon sehr lange allein

Das viele Spielen tut dem Flügel gut, der Staub weicht aus den Ritzen, er wird langsam wieder freier.
So wie ich immer freier werde. Doch die letzten Tage ist mir sehr klar geworden, dass ich zwar das Alleinsein irgendwann gelernt habe, aber eigentlich bin ich nicht gern allein.
Irgendwann bin ich in meinem Leben zu einem Einzelgänger geworden.. ich habe vergessen wann und warum.

Tag 11 – Rad des Schicksals

Ich habe etwas entdeckt: Das immer wiederkehrende Motiv in Fraktal 11 in den verschiedenen Tonlagen lässt unendlich viel Bewegung zu.
Es heißt Rad des Schicksals, weil das Motiv immer eine Art des Rückblicks ist… in verschiedenen Emotionen.. von traurig über freudig bis hin zu friedvoll…

Tag 12 – Unzählige Melodien

Heute muss das Schreiben warten. Die Musik sprudelt nur so aus mit heraus.. Ich kann die neuen Melodien noch gar nicht zählen, weil sie sich so wunderbar verweben…

Tag 13 – Unzufriedenheit

Trotz meiner Vorbereitungen und allem, was ich gestern geschaffen habe, war ich mit meinem Spiel am Abend nicht zufrieden… Wollte ich zu viel?
Es ist immer schwierig nach einem persönlichen Höhepunkt wieder weiter zu gehen. Ich will heute damit verbringen, die Melodien von gestern zu wiederholen. Und auch morgen möchte ich nur diese Motive spielen.

Tag 14 – Freies Geben, ein so kostbares Gut

Es gibt Dinge auf der Welt,
Die kann man nicht kaufen.
Ist es nicht eine sonderbare Welt,
In der das freie Geben
so ein kostbares Gut ist.

Tag 15 – Vollmond

Ich werde mehr und mehr eins mit der Natur. Hier in der Wüste genießt man tatsächlich, wie der Mond am Horizont aufgeht, das ist wunderschön… eine gelbe Scheibe, die rasch in der Dunkelheit aufsteigt.

Tag 16 – Meditation

Meditation – in der Wüste zum Sonnenaufgang – das ist ganz groß.
Dadurch, dass das Gedankenmeer in der Einsamkeit so gering ist, falle ich ganz schnell durch dieses Meer hindurch. Wenn ich dann auftauche und über eine Sanddüne herabblicke, ist es wie auf einem fremden Planeten… ich benötige manchmal mehrere Sekunden, um zu realisieren, wo ich bin.

Tag 17 – Erschöpfung

Ich bin völlig erschöpft… lag den ganzen Tag nur apathisch im Bett und war froh, als ich irgendwann eingeschlafen bin.
Mein Gemütszustand: unzufrieden, kraftlos, ausgezehrt. Noch drei Wochen will ich durchhalten. Das erscheint mir gerade wie eine Ewigkeit.

Tag 18 – Meine Liebe zum Spiel

Ich habe mit neun Jahren angefangen, Klavier spielen zu lernen. Es war meine große Liebe, meine Leidenschaft, meine Welt. Dann mit 15 – von heute auf morgen – sah meine Welt anders aus. Dem Klavier habe ich den Rücken gekehrt… Aber meine Leidenschaft hat überdauert.

Tag 19 – Lernen

Mir etwas selbst beizubringen, führt mich auf einen intensiven inneren Erfahrungsweg und einen „inneren Dialog“, ganz im Stillen. Dabei scheint für Außenstehende nicht groß etwas zu passieren, aber innerlich durchwandert man Welten…

Tag 20 – Zuhören

Hört in euch hinein, was da in euch ruft… wenn Ihr dem folgt, folgt Ihr der Absicht der Seele. Und wenn Ihr dieser Absicht folgt, seid Ihr immer sicher.

Tag 21 – Die Welt erfahren

Es gibt viele Wege, die Welt zu Erfahren. Denjenigen, den ich gerade ganz bewusst alleine gehe, nennt man gnostischen Weg.

Tag 22 – Einsamkeit

Die Einsamkeit wird immer intensiver. Daher vertiefe ich mich immer mehr in die Musik: Eintauchen, entfliehen…

Tag 23 – Zeitreise der Musik

Die Motive für diese Symphonie sind wie eine Zeitreise aus meinen musikalischen Aufzeichnungen der letzten Jahre. Erinnerungen an Begegnung, Einsamkeit, Berührung und einfach Zuhören, was in mir klingt – daraus entstehen die Fraktale.

Tag 24 – Saturn

Ein langer Tag geht zu Ende. Der Himmel ist heute so klar, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben den Saturn, den roten Planeten, mit bloßem Auge erkennen kann.

Tag 25 – Die Natur klingt in F

Jede Tonart hat einen anderen Charakter. F zum Beispiel ist die Natur, aber auch die Mutter-Tonart. Wenn ihr neben einem Fluss steht, werdet Ihr automatisch, wenn Ihr etwas ansingen wollt, nach einiger Zeit in F singen…

Tag 26 – Ein Ort der Extreme

Der Winter kommt: Nachdem die Sonne untergeht, ist es inzwischen bitterkalt. Wo man letzte Woche noch ohne Wasser tagsüber in der Wüste verdurstet wäre, würde man jetzt nachts ohne die richtige Kleidung erfrieren.

Tag 27 – Regen in der Wüste

Tiefschwarze Wolken fallen von allen Seiten ein. Kurz darauf: Gewitter. Der Regen prasselt unablässlich herab, und um mich herum ist alles schwarz.
Das ganz Besondere: Es hat hier seit acht Jahren nicht mehr geregnet… keinen Tropfen!

Tag 28 – Zuhause in mir

Alles um mich herum tönt, und in mir klingt eine Stille, die mir jede Angst nimmt.
Dafür ist ein Zuhause in mir, einem Ich, das völlig wehrlos geworden ist. Es bleibt einfach nur Vertrauen in etwas, in mir, außer mir, überall, das mich schützt und still den Weg weist, den ich gehen darf.

Tag 29 – Regen in der Wüste Namib

Heute Morgen habe ich im strömenden Jahrhundert-Regen zwei Stunden Steine geschleppt… Ich war an meinem persönlichen Anschlag. Irgendwann habe ich im Regen liegend auf dem Boden fast geheult und bin zu meiner Hütte gerobbt… Und wen treffe ich? Meinen Freund Summer – der Schakal! Er hat mich dann bis zur Hütte begleitet, dann ist er wieder abgezogen… Ich habe ihm die Tür aufgehalten… Aber das war ihm doch wohl noch zu viel…
Ich habe ja schon erwähnt, dass der letzte Regen acht Jahre her ist, ABER: Dass es sich einregnet und ständig orkanartige Böen gibt, daran kann sich wahrscheinlich niemand erinnern. Und gerade deswegen ist zur Zeit die Wüste wunderschön: Das Beige ist durch das Wasser zu einem satten Terrakotta geworden, und in nur einer Nacht sind auf meinem Weg von der Hütte Flechten gewachsen, Keime gesprossen, Grashalme mit bis zu fünf Zentimetern Höhe.. sogar so richtige Blätter wie in Seen unter Seerosen… unfassbar.

Tag 30 – Der Moment der Klarheit in meiner Musik

Ich liebe das Leben, und das Leben liebt mich! Ich habe hier so viel für mich und auch für meine Musik mitgenommen. Heute Morgen auf dem Weg zum Kubus kam mir der Moment, wo mir kurz klar wurde, dass das Geheimnis der Fraktale, also der musikalischen Motive, darin liegen kann, dass sie sowohl als Piano- als auch als Sinfonische UND Musicalversion aufgeführt werden können.
Ich dachte, dann wären sie wahrlich zeitlose Fraktale. In diesem Moment ging für wenige Sekunden die Sonne in der tiefen dunklen Wolkendecke auf, und ein satter Sonnenstrahl fiel direkt vor meine Füße… Nach einem kurzen „Danke“ war die Wolkendecke wieder zu, aber alles war gesagt.

Tag 31 – Die Musik sprudelt aus mir heraus

Heute bin ich gut vorangekommen. Endlich sprudelten die musikalischen Motive wieder nur so heraus. Es war heute ein wunderschöner Tag. Jetzt weiß ich immer mehr, warum ich eigentlich hier bin:
Wenn wir dem Ruf in uns folgen, werden wir immer getragen. Wir können das Leben nicht verstehen, denn wir sind es. Genießt jeden Moment dieses wunderbaren Schauspiels. Ihr seid der Regisseur, der Schauspieler, das Publikum sowie der Kritiker und der Geschichtenerzähler, der die Geschichte weitergibt.

Tag 32 – Vom Wunsch zu teilen

Musikalisch und körperlich geht es langsam auf das Ende zu. Ich bin endlos lange über die Dünen gegangen… Es gibt hier so vieles, was ich gern mit jemandem teilen möchte…Ich hoffe, ich komme mit diesem Jemand zusammen irgendwann hierher zurück.

Tag 33 – Der Weg durch die Einsamkeit

Die Einsamkeit greift nun doch mehr und mehr um sich. Ich hätte nicht gedacht, dass ich doch noch einmal weinend im Bett sitze. Doch hinter unseren Grenzen beginnt für jeden von uns ein unbekanntes Land. Nein, ich werde nicht zurückweichen. Ich werde weiter gehen.

Tag 34 – Muster im Sand

Heute habe ich habe fast fünf Stunden Steineschleppen und -legen geschafft. Das Feld nimmt jetzt schon Formen an, und wenn ich vom schwarzen Berg drauf blicke, kann man schon die Dimensionen
erfassen…

Tag 35 – Unerwartete Begegnungen

Als ich gerade den letzten Stein auf einem Steinhaufen ablegen wollte, habe ich eine Schlange entdeckt. Ich war wie versteinert, und Adrenalin schoss durch meinen Körper.
„Bruder Schlange, ich will an diesen Ort nur Schönheit bringen, nicht den Tod für einen von uns beiden. Ich werde mich zurückziehen und wir beide werden weiter leben.“

Tag 36 – Musik hat kein Gesicht

Ich mag das Wort “klassische“ nicht, wenn es um Musik geht. Und die Unterscheidung in „ernste“ und „nicht ernste“ Musik ist auch sehr weit hergeholt. Chopin und Mozart wollten auch den Menschen Freude bereiten. Musik, die auf komplexen Harmonien beruht. Vielleicht ist es so am besten ausgedrückt.

Tag 37 – Loslassen

Loslassen bedeutet dem Erblühen Raum zu geben, dem Wachsen seinen Lauf frei zu geben, der eigenen Stille zu lauschen und zu verstehen, dass ohne die Stille „Hören“ unmöglich ist.

Tag 38 – Leere

Ich war gestern so voller Erwartung und unglaublich enttäuscht, dass einfach nichts Neues mehr kam… einfach leer. Und da ich einfach körperlich und geistig hier an meine Grenzen gegangen bin, brach einfach das Weinen aus mir raus.

Tag 39 – Es ist vollbracht

Heute Mittag ist es endlich vollbracht. Ich lege ich den letzten Stein…nach 39 Tagen.
Nach dem morgigen Finale werde ich dieses wunderbare Land nach 40 Tagen verlassen. Alle Spuren werden verwischt sein. Zurück bleibt nur die Notation in der Wüste.

Tag 40 – Meine Reise geht zu Ende

Erkenntnis reift mit der Fähigkeit zu lieben. Ohne meine Kinder wäre ich noch immer verloren zwischen Leitfäden, Autosuggestionen und den unendlichen Versuchen, das Leben zu erklären. Doch wir werden das Leben nie erklären können. Es ist so, wie wenn man das Element Feuer fragen würde, wie es sich anfühlt, heiß zu sein. Wir sind das Leben, unerklärbar und geheimnisvoll.
Zusammen wollen wir im großen Mysterium weitergehen, immer im Wissen, dass es kein Ende in der Unendlichkeit gibt. Nur Grenzen, die wir in uns ausdehnen können. Darauf freue ich mich mit jedem Tag, wenn ich wieder dort bin, wo mein zu Hause ist.
Was bleibt, ist ein Stück Musik, die jedem frei zugänglich ist. Denn alles beginnt mit dem Hineinhorchen und Hineinspüren in sich selbst. Die Reise kann beginnen.